EIZ Rostock
Jedes Jahr wird an der Uhr gedreht
Sollte man nicht gerade in einer Zeitschleife festhängen, grüßt das Murmeltier nur einmal im Jahr und sagt im Frühjahr das Ende des Winters vorher. Doppelt so häufig, nämlich zweimal im Jahr, überrascht uns hingegen die Zeitumstellung. Am Sonntag, dem 26.März ist es wieder soweit und die Uhren werden in der Nacht von 2 Uhr auf 3 Uhr vorgestellt und damit der Anfang der sogenannten Sommerzeit eingeläutet.
»»» kleine Eselsbrücke: im Frühjahr stellen wir die Stühle vor das Cafè, im Herbst stellen wir sie zurück ins Cafè. |
Am letzten Oktoberwochenende geht es dann wieder eine Rolle rückwärts in die andere Richtung. Gefühlt hat man sich gerade an die eine Zeit gewöhnt, wird schon wieder an der Uhr gedreht. Dass diese Praxis wider die Natur ist und mehr Nach- als Vorteile bringt, ist hinlänglich bekannt und wissenschaftlich belegt. Warum das ganze überhaupt und wieso daran festhalten?


Kurze Geschichte der Zeitumstellung
Grundlegende Idee für die Zeitumstellung ist das Einsparen von Energie. Durch die Einführung der Sommerzeit verschiebt sich die Tageszeit um eine Stunde nach hinten und es wird quasi eine Stunde später dunkel. Dadurch soll das Tageslicht effektiver ausgenutzt und somit Energie gespart werden.
Benjamin Franklin machte bereits im 18. Jahrhundert den Vorschlag, früher aufzustehen und früher ins Bett zu gehen und dadurch Beleuchtungsenergie zu sparen. Im 19. Jahrhundert nahm die Popularität dieser Idee stetig zu. Es dauerte jedoch noch bis zum 1. Weltkrieg, bis es erstmals zur Zeitumstellung auf Sommerzeit kam. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass die Einführung von standardisierten Zeiten und Zeitzonen ein relativ junges Phänomen ist. Lange Zeit galten die sogenannte Ortszeiten, die sich am genauen Stand der Sonne ausrichteten. Der höchste Stand der Sonne an einem Ort entsprach der 12 Uhr Uhrzeit. Reisende richteten sich nach dieser Ortszeit und stellten ihre Uhren dementsprechend. Mit dem Einzug der Moderne und ihren technischen Errungenschaften schmolzen die Distanzen. Telegraphenleitungen und Eisenbahnstrecken verbanden entfernte Städte und schufen Verflechtungen, in denen eine gemeinsame Zeit-Verständigung zunehmend nötig war. So stellten die Fahrpläne der Eisenbahngesellschaften wesentliche Treiber einheitlicher Zeitzonen dar. Erst Ende des 19. Jahrhunderts setzten sich flächendeckende Zeitzonen wie die Mitteleuropäische Zeit durch und die Welt gliederte sich in ihre unterschiedlichen Zeitzonen, ähnlich wie wir sie heute kennen. Einen Überblick gibt es unter www.zeitzonen.de.
Die technischen Hürden bei den Fahrplänen der Bahn waren dann auch lange Zeit ein Hauptargument gegen die Einführung der Sommerzeit. Im ersten Weltkrieg galten dann jedoch andere Prioritäten und der internationale Bahnverkehr beugte sich der Kriegslogik. 1916 startete die Einführung der Sommerzeit von Deutschland aus. Die meisten europäischen Staaten folgten daraufhin, unabhängig welcher Kriegspartei sie angehörten.
Die erste Phase der Zeitumstellung währte nur kurz und war zudem nicht einheitlich. Die Weimarer Republik schaffte sie 1919 wieder ab. Andere Länder experimentierten mit der Sommerzeit und kehrten meist zurück. Zur Renaissance kam es wiederum im 2. Weltkrieg. Ab 1949 endete dann auch diese Phase. Erst die Ölkrise Ende der 70er Jahre brachte die vermeintliche Energiesparidee erfolgreich zurück aufs Tableau. Frankreich führte die Sommerzeit als erstes Land Mitteleuropas 1973 ein.
Spätestens mit dem Beitritt der Schweiz zur Sommerzeit 1981 beginnt die bis heute anhaltende Phase der Zeitumstellung in Westeuropa.Das Hauptargument für die Einführung der Sommerzeit war letztendlich wohl nicht die Hoffnung auf wesentliche Energieeinsparungen, sondern vielmehr eine einheitliche Regelung der Zeit über Grenzen hinweg im europäischen Wirtschaftsraum.
Eine EU Richtlinie regelt die Zeitumstellung aller EU Mitgliedsstaaten und einiger assoziierten Staaten wie der Schweiz. Den EU-Mitgliedsländern ist es somit nur schwer möglich, eigenständig die Zeitumstellung abzuschaffen. Dies ist jedoch seit 2019 erklärtes Ziel der Europäischen Union.
Die Zeit läuft (noch nicht) ab
So schön es auch sein mag, in den Sommermonaten eine Stunde länger etwas vom Tageslicht zu haben, so gibt es doch eine Reihe problematischer Auswirkungen der halbjährigen Zeitumstellung. Von gesundheitlichen Folgen bei Mensch und Tier, über organisatorische und technische Probleme – in der Bilanz wiegen die Vorteile wohl nicht die Nachteile auf. So ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Menschen für die Abschaffung der Zeitumstellung aussprechen.
2018 beauftragte das EU-Parlament die EU-Kommission mit einer Bewertung und gegebenenfalls Vorschlägen für eine Änderung der Zeitumstellung. Daraufhin konnten alle EU-Bürger an einer Befragung teilnehmen und sich zu ihren Erfahrungen mit dem Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit äußern. An der nicht repräsentativen Umfrage nahmen 4,6 Millionen EU Bürger teil. Lediglich in Zypern und Griechenland sprachen sich die Umfrageteilnehmer mehrheitlich für die Beibehaltung der derzeitigen Regelung aus. Die weitaus größere Mehrheit plädierte für die Abschaffung der Zeitumstellung bei Beibehaltung der Sommerzeit.
Nachdem die Ergebnisse der Befragung feststanden, erklärte die EU-Kommission unter Jean-Claude Junker eine Abschaffung der Zeitumstellung anzustreben. Das EU-Parlament stimmte am 26.März 2019 für die Abschaffung. Die einzelnen Mitgliedsstaaten sollen selbst entscheiden, ob sie dauerhaft Sommer- oder Winterzeit behalten wollen. 2021 sollte dann endgültig Schluss mit der Uhrendreherei sein.
Seitdem ist einige Zeit vergangen und wir haben wieder so einige Male die Zeiger vor- und zurückgedreht – und ein Ende dieser Praxis scheint vorerst nicht in Sicht. Es ist still um dieses EU-Projekt geworden. Das Problem ist die Frage, ob dauerhaft Sommer- oder Winterzeit gelten soll und welcher Zeitzone die Mitgliedsländer letzten Endes beitreten wollen. Die Angst vor einem Flickenteppich ist groß, die Positionen der Länder unterschiedlich. Auch innerhalb der Staaten gibt es oft keine einheitliche Position.
Gerade an den Randgebieten der Zeitzonen sind die Auswirkungen der verschiedenen Modelle teils gravierend. So würde im Nordwesten Spaniens bei Beibehaltung der Sommerzeit, die Sonne im Winter erst gegen 10 Uhr aufgehen. Bei Abschaffung der Zeitumstellung wäre eine Neueinteilung der Staaten in verschiedene Zeitzonen wohl unumgänglich. Der späte Sonnenaufgang im Winter ist ein wesentlicher Nachteil bei einer Beibehaltung der Sommerzeit. Russland zum Beispiel führte kurzzeitig die permanente Sommerzeit ein, entschied sich dann jedoch für die dauerhafte Beibehaltung der Normalzeit. Ab 2014 gilt sie dort ganzjährig. Aus wissenschaftlicher Sicht spricht vieles gegen eine dauerhafte Sommerzeit, da sie zu sehr von unserer biologischen Uhr abweicht.
Mögen einzelne Staaten an sich auch zu Lösungen kommen, sieht es für den geografisch weitläufigen Staatenverbund der Europäischen Union doch wesentlich schwieriger aus. Die anscheinend einfache Aufgabe der Abschaffung der Zeitumstellung birgt im Detail doch so einige Fallstricke. Wobei es auch viele Länder dieser Erde gibt, die nie eine Zeitumstellung eingeführt haben. Gerade in Äquatornähe beträgt die Abweichung der Tag- und Nachtlänge von Sommer zu Winter nur minimale Zeiträume.


Wie weiter mit der Zeitumstellung?
Zurzeit herrscht Stillstand und es ist nicht absehbar, wann es zu einer Abschaffung der derzeitigen Praxis kommt. Das Thema hat momentan wenig Priorität auf der krisengeschüttelten politischen Agenda. Auch spielt das Thema in der Öffentlichkeit, anders als in Deutschland und Österreich vielleicht, nur eine untergeordnete Rolle, so dass wenig Handlungsdruck für die Regierungen besteht. Länder wie Portugal und Griechenland sprechen sich eher für eine Beibehaltung der derzeitigen Regelung aus, andere schwanken zwischen Sommer- und Normalzeit. Solange die einzelnen Staaten für sich alleine schon keine Position finden können, ist eine multilaterale Lösung in weiter Ferne.
Selbst in Deutschland, wo das Thema in der Öffentlichkeit eine vergleichbar hohe Priorität besitzt, herrscht mehr oder minder Stillstand. Eine Einigung, ob wir für Sommer- oder Normalzeit eintreten wollen, steht weiter in den Sternen. Dabei stellt sich hier noch nicht einmal die Frage nach der Zeitzoneneinteilung. EU-Staaten an den Rändern haben diese Problematik noch zusätzlich mit all ihren Fallstricken im Nachbarschaftsgeflecht. Unter diesen Voraussetzungen rückt die Abschaffung der Zeitumstellung in weite Ferne. Offiziell heißt es, dass bis mindestens 2026 die Zeitumstellung beibehalten wird. Zur Erinnerung: 2021 sollte eigentlich schon Schluss damit sein.
Man braucht kein Prophet zu sein, um auch ein Ende für 2026 in Frage zu stellen. Es braucht in dieser Frage mehr Entschlossenheit. Der Beschluss des EU-Parlaments muss mit praktischen, verbindlichen Mechanismen versehen werden – die Schaffung eines EU-Sonderbeauftragten für diese Aufgabe wäre eine Möglichkeit. Ein Gremium, dass sich mit Wissenschaft, Politik und den länderspezifischen Besonderheiten intensiv auseinandersetzt und verbindliche Lösungsvorschläge erarbeitet, sowie einen Fahrplan erstellt. Die Überlassung des Themas in den Händen der 27 EU-Mitgliedsstaaten führt eher zum Stillstand, wie wir ihn derzeit sehen.
Der 26.März 2023 ist daher noch lange nicht der letzte Tag, an dem die Uhr mal vor, mal zurück gestellt wird. Wir können uns bei der Gelegenheit auch gleich den 29.10.2023 merken, von wo uns bereits von Weitem das Murmeltier breit angrinst.

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