Arved Schönberger
Das Europaparlament, wie das Europäische Parlament auch genannt wird, zählt zu den bedeutendsten Institutionen der Europäischen Union. Es ist das einzige Gremium, welches direkt von den Bürgern der EU-Staaten gewählt wird und hat seit der Gründung des Staatenbundes stetig an Einfluss und Bedeutung hinzugewonnen. Seit 1979 ist es die bis dato einzige, durch allgemeine Wahlen direkt gewählte, Bürgerrepräsentation einer supranationalen Organisation. Die Rechtsgrundlage der aktuellen Arbeitsweise der EU – und damit auch die Grundlage für die kommende Legislaturperiode nach der Wahl vom 6. bis 9. Juni 2024, bildet der Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat. Dieser Vertrag bestimmt das Gerüst, in dem die Europäische Union agiert, sozusagen das Betriebssystem der Union. Hier finden sich die Regeln, wie die einzelnen Organe der EU zu interagieren haben, damit politische Handlungsfähigkeit entsteht.
Die Institutionen der EU
Die wichtigsten Akteure und Machtpole der EU, die sich daraus ergeben sind folgende:
Die einzelnen EU-Staaten, die vor allem über den Rat der Europäischen Union und den Europäischen Rat agieren.
Die Europäische Kommission – ein wesentliches Machtzentrum und Akteur auf EU- Ebene, sowohl in exekutiver wie legislativer Funktion.
Das Europäische Parlament – einziges direkt gewähltes Organ mit anteilsmäßigen Mitgliedern aller EU-Staaten.
Der Europäische Gerichtshof – diese ebenfalls wichtige Institution kann quasi als Judikative in der Gewaltenteilung der Europäischen Union angesehen werden. Er erfüllt eine wichtige Funktion bei Rechtsfragen, der Einhaltung von Verträgen, der Prüfung von Gesetzen und hat ähnliche Funktionen wie das Bundesverfassungsgericht in Deutschland – er gilt als höchste juristische Institution innerhalb der EU und seine Urteile sind auch innerhalb der Mitgliedsstaaten bindend. Für die Gesetzgebung und das politische Alltagsgeschäft spielt der Europäische Gerichtshof allerdings weniger eine Rolle, dafür sind die erstgenannten Institutionen entscheidend.
Die Frage lautet nun, welche Rolle spielt das Europäische Parlament innerhalb der EU, was macht die Arbeit aus – wo liegt seine Macht und wo die Grenzen?
Die Rolle des Europäischen Parlaments
Damit eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union funktioniert, bedarf es einer austarierten Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit, die im Idealfall unterschiedlichsten Interessen gerecht wird. Als einziges direkt gewähltes Organ fällt dem Europäischen Parlament hierbei zuvorderst die Vertretung der Interessen der EU-Bürger zuteil.
Hierbei bildet das Parlament eine Nationen übergreifende Form aus. Es ist zwar besetzt, durch die Abgeordnetenkontingente der Mitgliedsstaaten, doch spielt dies bei der Struktur des Parlaments eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist die politische Ausrichtung der Mitglieder und der daraus folgenden Organisation in entsprechenden Fraktionen. So ist die Idee einer repräsentativen demokratischen Union, quasi in der Art eines föderalen Staates, bei dem jede Stimme aller Bürger den gleichen Wert hat, am ehesten im Europäischen Parlament realisiert.
Grundsätzlich steht das Parlament für die Legislative, betrachtet man die Theorie der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Die Exekutive, grob als ausführende Gewalt oder auch Regierung bezeichnet, fällt eher der Kommission zu.
Der Europäische Rat hat ebenfalls eine zum Teil legislative Funktion. Er ist wie eine zweite Kammer, in der die Nationalität die bestimmende Struktur darstellt, vergleichbar mit der Länderkammer, dem deutschen Bundesrat, nur dass anstelle der Bundesländer die EU-Staaten vertreten sind und die Rechtslage eine etwas andere ist.
Aufgaben des Europäischen Parlaments
Eine der Kernaufgaben des EU-Parlaments ist somit die Gesetzgebungsfunktion, wozu auch Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen gehören. Dabei hat es jedoch kein Initiativrecht, das heißt es ist regulär nicht vorgesehen, eigene Gesetzesentwürfe einzubringen. Dieses Recht hat laut EU-Statuten ausschließlich die Kommission. Allerdings gibt es seit 2010 eine verbindliche Erklärung zwischen Kommission und Parlament, dass das Parlament die Kommission auffordern kann, einen Gesetzesentwurf binnen 12 Monaten vorzulegen. So hat das Parlament zwar kein direktes Initiativrecht, jedoch über dieses Verfahren zumindest ein indirektes. Hieran lässt sich schon der Einfluss der Kommission erahnen. In der Regel ist sie das treibende Element und legt einen Gesetzestext vor. Der Vertrag von Lissabon sieht ein sogenanntes ordentliches Gesetzgebungsverfahren vor und stärkte damit die Rolle des Parlaments. So ist die Zustimmung einer Mehrheit der Abgeordneten zum Inkrafttreten der Rechtsakte erforderlich und gleichzeitig gibt es Möglichkeiten, die Vorlage noch zu verändern.
Gesetzgebungsverfahren
Erste und Zweite Lesung
Der Prozess läuft folgendermaßen ab: Die Kommission legt einen Gesetzesentwurf dem Parlament vor, damit wird die 1. Lesung in Gang gesetzt. Hier gelten noch keine zeitlichen Fristen. Das Parlament kann also in Ruhe und ausgiebig darüber beraten. Hier spielen die Fachausschüsse und die Positionen der Fraktionen eine entscheidende Rolle. Anschließend wird daraus ein Standpunkt, der entweder noch Änderungen vorschlägt oder die Vorlage so akzeptiert, mit einfacher Mehrheit beschlossen. Ebenfalls in erster Lesung beschäftigt sich dann der Rat der Europäischen Union mit dem Text. Stimmt der Rat dem Standpunkt des Europäischen Parlaments zu und dies mit einer qualifizierten Mehrheit, so ist die Vorlage verabschiedet und der Rechtsakt tritt in Kraft. Oder aber, der Rat bildet sich einen eigenen Standpunkt und hat ebenfalls Änderungswünsche. Dann geht das Gesetzespaket mitsamt den Änderungsvorschlägen der beiden Kammern zurück zur Kommission, die dann auch von ihrer Seite aus den Text bearbeitet und ihre Position mit einfließen lässt. Mit der erneuten Vorlage des nun modifizierten Gesetzestextes beginnt die 2. Lesung. Rat und Kommission begründen ihren Standpunkt gegenüber dem Parlament. Ab jetzt gibt es auch zeitliche Fristen. 3 Monate Zeit haben nun die Abgeordneten für eine erneute Beratung. Lehnt eine absolute Mehrheit das Vorhaben ab, ist es gescheitert. Eine einfache Mehrheit genügt für die Annahme des Rechtsaktes mit den eingeflossenen Änderungen. Auch bei Überschreitung der dreimonatigen Frist ohne Beschluss ist dies der Fall. Findet sich hingegen eine Mehrheit für erneute Änderungsvorschläge, wird die Vorlage erneut der Kommission überreicht. Diese verfasst dazu ebenfalls eine Stellungnahme und gibt es dann zur 2. Lesung an den Rat. Jetzt sind es wieder 3 Monate in denen ein Entscheidungsprozess abzulaufen hat. Billigt der Rat den Entwurf samt Standpunkten des Parlaments, tritt er in Kraft. Sollte die Kommission in ihrer Stellungnahme das Vorhaben mit den Änderungsvorschlägen ablehnen, bedarf es zur Annahme der Einstimmigkeit im Rat.
Wird die Frist überschritten oder der Rat ist gegen die vorgeschlagenen Änderungen, kommt es zur Einberufung des Vermittlungsausschusses. Er besteht aus ebenso vielen Mitgliedern des EU-Parlaments wie Vertretern des Rates der Europäischen Union, unter Beteiligung der Kommission. Eine erneute Frist beginnt, diesmal 6 Wochen. Verstreicht diese ohne gemeinsame Einigung, ist das Vorhaben gescheitert. Schafft es der Vermittlungsausschuss innerhalb der 6 Wochen, sich auf einen gemeinsamen Text zu verständigen, kommt es zur 3. und letzten Lesung. Wieder beginnt die Uhr zu ticken und Rat wie Parlament haben 6 Wochen Zeit, um über das Papier zu entscheiden. Stimmt der Rat mit qualifizierter Mehrheit zu und das Parlament mit der Mehrheit der Stimmen, ist es geschafft und der Rechtsakt tritt in Kraft. Wird die Frist überschritten oder die Mehrheiten werden nicht erreicht, ist das Vorhaben endgültig gescheitert.
Sieht die Kommission weiterhin Handlungsbedarf, kann sie den Prozess mit einer neuen Vorlage, in die die Erfahrungen aus dem gescheiterten Versuch bestenfalls mit einfließen sollten, von vorne starten. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt für eine Vielzahl von Politikfeldern, darunter Verkehrspolitik, Organisation der Agrarmärkte, Datenschutz und Entwicklungspolitik. Für einige bestimmte Politikbereiche haben die einzelnen EU-Staaten über den Rat die Möglichkeit, Gesetzesvorhaben zu blockieren, bis ein Konsens unter den Mitgliedsstaaten hergestellt ist. Auch wenn eigentlich eine qualifizierte Mehrheit im Rat reichen würde, haben so die einzelnen Länder bei bestimmten Politikfeldern ein Vetorecht, was eine enorme Macht bedeutet.
„Informelle Triloge“
Die Mehrheit der Gesetzesvorschläge wird in der ersten oder zweiten Lesung verabschiedet, die Anrufung des Vermittlungsausschusses bleibt eher die Ausnahme.
Ein Grund hierfür ist die sich in der Praxis herausgebildete Verfahrensweise des sogenannten „informellen Trilogs“. Hierbei arbeiten die drei Organe Kommission, Rat und Parlament bereits vor und während des gesamten Verfahrens eng zusammen. Da in der Vorbereitung des Entwurfs und während des gesamten Prozesses ein intensiver Austausch über die verschiedenen Standpunkte stattfindet, schaffen es die so ausgearbeiteten Vorlagen meist bereits in der ersten Lesung zur Gültigkeit. Bei den Treffen sind maximal 10 Personen anwesend, vom Parlament der/die Vorsitzende des jeweiligen Ausschusses, Vertreter der Fraktionen, vom Rat ein Vertreter des Landes, das den Ratsvorsitz hat, der/die Vorsitzende des zuständigen Ausschusses der ständigen Vertreter und der/die Vorsitzende der entsprechenden Arbeitsgruppe. Die Kommission ist als Vermittler durch einen Direktor oder den jeweils zuständigen Referatsleiter vertreten. Fraktionslose Abgeordnete werden nicht berücksichtigt. Zu Beginn erarbeiten die Organe ihre Position, dies geschieht vor allem in den Fachausschüssen, anschließend erteilt dann das Parlament ein Verhandlungsmandat mit den zuvor ausgearbeiteten Änderungswünschen. Der Rat bezieht sich dann auf diese Position und erteilt ebenfalls ein Verhandlungsmandat. Die Sitzungen des informellen Trilogs werden zwar bekanntgegeben, sind allerdings nicht öffentlich und auch die Protokolle sind nicht einsehbar. Kompromisse, die so zustande kommen, gehen anschließend zurück zu den Organen und müssen durch reguläre Mehrheitsbeschlüsse bestätigt werden. Der Unterschied zum klassischen ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ist der, dass zu jederzeit des Verfahrens ein intensiver Austausch in der Trilog-Gruppe stattfindet und Änderungsvorschläge eingearbeitet werden können. So ist das Verfahren wesentlich flexibler und effizienter, allerdings auch intransparenter. Eine kleine Gruppe handelt unter Ausschluss der Öffentlichkeit und das EU-Parlament ist in seiner Gänze nur unzureichend mit einbezogen. Es muss zwar den ausgehandelten Kompromissen noch zustimmen, wird aber letztendlich vor vollendete Tatsachen gestellt, zumindest ist der Einfluss auf die Ausgestaltung begrenzter. Gerade die Zivilgesellschaft oder Fachexpertisen haben es schwer, sich in dieser Art Verfahren Gehör zu verschaffen. Auch hat die Kommission bei dieser Form einen wesentlich größeren Einfluss als üblich. Positionen von Rat, Parlament oder den einzelnen Fraktionen verschwinden hinter einem Vorhang und das ganze Verfahren neigt zur Undurchsichtigkeit – was letzten Endes dem demokratischen Gesamtbild schadet und die EU weiter von den Bürgern entfremdet.
Zusammenfassung
Zusammengefasst lässt sich für das EU-Parlament feststellen, dass es bei Gesetzgebungsverfahren eine entscheidende Rolle spielt. Ohne die Zustimmung dieses Organs können keine Rechtsakte in Kraft treten. Gleichfalls ist es dem Parlament nicht möglich, eigene Gesetzesinitiativen direkt zu initiieren. Das Initiativrecht liegt allein bei der Kommission, allerdings kann die Kommission hierzu vom Parlament aufgefordert werden. Dem Parlament ist es allerdings nicht möglich allein, ohne die Zustimmung des Rates, Vorhaben durchzusetzen. Bei bestimmten Politikfeldern reicht ein Mitgliedsstaat mit seinem quasi Vetorecht, um Vorhaben scheitern zu lassen. Für die Stärke des Parlaments spricht die Möglichkeit, Änderungsvorschläge einzubringen und so auf die Gesetzestexte Einfluss zu nehmen.
In der Gewichtung dieser Konstellation hat die Kommission einen erheblichen Stellenwert. Besonders das informelle Trilog Verfahren stärkt diese noch einmal besonders. Neben dem Initiativrecht, kann sie durch Empfehlung die Abstimmungsmodalitäten der anderen Organe beeinflussen und auch jederzeit das Vorhaben zurückziehen und damit Druck ausüben. Zudem kann die Kommission durch den Erlass von Durchführungsbestimmungen die Anwendung von EU-Rechtsakten bestimmen. So konnte die EU-Kommission jüngst die Regelung, dass 4 % der Agrarflächen zwecks Artenschutzes brachliegen müssen, außer Kraft setzen, ohne dass das Parlament mit einbezogen werden musste. Zu kritisieren sind die erwähnten Nachteile des informellen Trilogs, zwecks Transparenz und Schwächung des Einflusses der Abgeordneten. Bei der zukünftigen Gestaltung und Justierung der Verträge stände es der Union gut zur Gesicht, dem einzig demokratisch legitimierten Organ mehr Gewicht einzuräumen, beispielsweise mit der Erweiterung des Initiativrechts auf das Parlament und transparenteren Verfahren.
Mitbestimmung beim Haushalt
Ähnlich wie bei einem Gesetzgebungsverfahren kommt auch beim Haushalt der erste Entwurf von der Kommission. Rat und Parlament haben die Möglichkeit, Änderungen zu beschließen. Bei Einigkeit über die Änderungen kann dann der Haushaltsplan verabschiedet werden. Bei Uneinigkeit tritt ein Verfahren der gegenseitigen Konsultationen mit einer Reihe von Feinabstimmungen ein. Führt dies weiterhin nicht zur Einigkeit, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen, der dann die Aufgabe hat, eine Lösung herbeizuführen. Das Verfahren ist in einem speziellen Artikel über die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments geregelt (Art. 314 AEU-Vertrag).
Die Wahlfunktion des Europäischen Parlaments
Eine weitere wichtige Aufgabe des Parlaments ist die Wahl der EU-Kommission. Nach jeder Europawahl wird auch die Kommission neu gewählt, also jeweils nach 5 Jahren. Dabei spielt allerdings der Europäische Rat die zentrale Rolle. Zunächst nominieren die Mitgliedstaaten des Rates eine/-n Präsidentschaftskandidaten/-in unter Berücksichtigung der neuen Mehrheitsverhältnisse, das heißt in der Regel einen Vertreter der stärksten Fraktion des EU-Parlaments. Scheitert die Zustimmung durch das Parlament, muss der Rat einen neuen Kandidaten aufstellen. Ist die Präsidentschaft geklärt, schlagen die Staaten einen jeweiligen Kommissar vor, hierbei kann die/der designierte Präsident/-in den Vorschlag auch zurückweisen. Diese Kommissare entstammen in der Regel aus den Reihen der Regierungsparteien der jeweiligen Länder. Über das so zusammengestellte Kommissariat stimmt der Rat mit qualifizierter Mehrheit ab. Aus ihren Reihen wird auch der Vizepräsident bestimmt, der den Titel Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik trägt. Insgesamt besteht das Kommissariat aus 27 Mitgliedern, denen die Präsidentschaft unterschiedliche Ressorts zuordnet. Anschließend folgt eine öffentliche Befragung der Kommissare durch die Fachausschüsse des Parlaments und die Abgabe von Stellungnahmen. Kommt es zur Ablehnung einzelner Kandidaten, müssen die Länder im Rat neue Kandidaten finden. Ist dieser Prozess abgeschlossen, stellt sich die Kommission als Ganzes der Abstimmung im Parlament. Bei entsprechender Mehrheit kann die Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Für Organisation und Richtlinienkompetenz ist die Kommissionspräsidentschaft verantwortlich und gilt zugleich als Gesicht der Kommission. Dieser wichtigen Funktion wird mit der separaten Wahl im Vorfeld Rechnung getragen.
Als wichtiges Schwert in der Hand des Parlaments gilt das Misstrauensvotum. Es ist das Recht, die EU-Kommission auch abwählen zu können. Hierzu bedarf es einer zweidrittel Mehrheit, sowie einer Mehrheit der Mitglieder. Das Misstrauensvotum kann zu jeder Zeit erfolgen. Bei Erfolg würde die Kommission neu aufgestellt und gewählt werden müssen. Bisher kam es jedoch noch nie dazu. Einmal sorgte die Androhung dafür, dass die Kommission freiwillig zurücktrat.
Der Hohe Vertreter der EU Außen- und Sicherheitspolitik kann ebenfalls vom EU-Rat abgewählt werden. Der oder die Präsidentin kann zudem jeden ihrer Kommissare absetzen. Die Neuwahl findet wieder über das beschriebene Verfahren statt. Die Amtszeit läuft dann jedoch nur bis zum Ende einer regulären Legislaturperiode. Auf andere EU-Spitzenämter hat das Parlament weniger bis keinen Einfluss. Bei der Ernennung der Direktoriumsmitglieder der Europäischen Zentralbank findet lediglich eine Anhörung im Parlament statt, ohne das Recht auf Ablehnung. Auf die Besetzung der Richter beim Europäischen Gerichtshof hat das Parlament ebenfalls keinen Einfluss, was auch ein Indiz für die Gewaltenteilung ist. Dafür bestimmen die Abgeordneten den Europäischen Bürgerbeauftragten. An ihn können sich EU-Bürger mit Beschwerden über EU-Organe oder die Verwaltung wenden.
EU-Bürger haben zudem das Recht, sich mit Petitionen an das Parlament zu wenden. Diese werden dann im Petitionsausschuss verhandelt. Im Jahr sind dies an die 1000 Petitionen, von denen einige auch den Weg ins Parlamentsplenum schaffen. Davon abgesehen gibt es auch das Mittel der Europäischen Bürgerinitiative als direktdemokratisches Instrument. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine erfolgreiche Initiative die Kommission dazu auffordern, sich mit den geforderten Themen auseinanderzusetzen.
Kontrollfunktion des Parlaments
Eine weitere wichtige Funktion des EU-Parlaments ist die Kontrolle anderer EU-Institutionen. Kommission, Rat, Europäischer Rechnungshof und die Europäische Zentralbank müssen dem Parlament regelmäßig Bericht über ihre Arbeit erstatten. Zudem kann das Parlament Untersuchungsausschüsse einberufen, die ähnlich wie deutsche Untersuchungsausschüsse mit besonderen Ermittlungsrechten ausgestattet sind. So gab es in der Vergangenheit Untersuchungsausschüsse zu Emissionsmessungen bei der Automobilindustrie, zum Einsatz der Spähsoftware PEGASUS oder zur Rinderseuche BSE. Auch kann das Parlament gegebenenfalls Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Das gilt auch für den Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wo der Einfluss des Parlaments beschränkt ist und die Befugnisse bei Kommission und Rat liegen. Der Präsident des EU-Parlaments nimmt zudem an den Gipfeltreffen des Europäischen Rates teil.
Abgeordnete haben weiter das Recht, mündliche und schriftliche parlamentarische Anfragen an die Kommission und den Rat zu stellen.
Nicht zu vergessen ist das Instrument des Misstrauensvotums, welches die Kommission stets daran erinnert, sich nicht zu sehr vom Parlamentswillen zu entfernen. Zur Kontrolle trägt auch der oder die vom Parlament bestimmte Bürgerbeauftragte bei. Er/Sie gilt als Ansprechpartner bei Vorwürfen gegen die Institutionen der EU, auch kann er/sie eigenständige Ermittlungen aufnehmen. Einmal jährlich präsentiert er/sie seinen/ihren Bericht im Plenum. Über Petitionen und den Petitionsausschuss haben EU-Bürger ebenfalls eine Möglichkeit, das Parlament auf Missstände oder Dringlichkeiten hin anzustoßen.
So erfüllt das Parlament durch seine Kontrollfunktion einen wichtigen Auftrag bei der Vertretung der Bürgerinteressen gegenüber den Institutionen.
Schlussbetrachtung
Die Rolle und die Macht des EU-Parlaments hat sich seit der Gründung der Union stetig vergrößert. Als einzig direkt gewähltes und demokratisch legitimiertes Organ könnte diese jedoch weitaus größer sein. Kommission und Rat haben im Vergleich eine äußerst starke Position. Die Frage ist, ob dies im richtigen Verhältnis zueinander steht. Da wäre das Initiativrecht für Gesetzesvorhaben, was ausschließlich bei der Kommission liegt. Zudem hat diese durch die Durchführungsbestimmungen erheblichen Einfluss auf die Anwendung der Gesetze. Man fragt sich als EU-Bürger schon, warum die Kommission im Alleingang wichtige Umweltvorschriften außer Kraft setzen kann, wie jüngst bei den Agrarbetrieben, ohne dass das Parlament befragt werden muss. Bei gewissen Politikbereichen, wie der Außen- und Sicherheitspolitik, ist die parlamentarische Einflussnahme zudem erheblich eingeschränkt.
Die Präsenz in der Öffentlichkeit könnte ebenfalls besser sein. Hier müsste das Parlament wesentlich sichtbarer sein, auch darüber wie und woran gerade gearbeitet wird, sollte breiter kommuniziert werden. Die Praxis des informellen Trilogs bei Gesetzesvorhaben begünstigen die Intransparenz und Hinterzimmer-Praxis. Generell hat die EU ein Problem mit der Wahrnehmbarkeit bei ihren Bürgern. Hier bietet es sich an, über das Parlament, was ja als einziges eine direkte Verbindung zu den Bürgern darstellt, die Arbeit, Perspektiven und Ideen der Union intensiver zu vermitteln.
Auch wenn aus demokratischer Sicht eine stärkere Rolle des Parlaments wünschenswert wäre, ist es aber auch schon jetzt sehr wirkmächtig. Ohne die Zustimmung der Abgeordneten geht in den meisten Bereichen nichts. Verabschiedung von Gesetzen, die Wahl der Kommission, der Haushalt und die Einberufung von Untersuchungsausschüssen sind parlamentarische Kernbereiche und essenziell für das Funktionieren der Union.
Dass das Parlament dabei kein monolithischer Block ist und verschiedenste politische Strömungen in den Fraktionen ihren Platz haben, ist Thema des nächsten Teils. Da schauen wir uns an, welche Strömungen es gibt, wie die Fraktionen aufgebaut sind und wie es zu Mehrheitsbildungen kommt. Auch die Rolle des einzelnen Abgeordneten und der vielen Fraktionslosen wird beleuchtet, genauso wie die Arbeit im Parlament. Schließlich gilt es für die Wahl vom 6. bis 9. Juni aufgeklärt zu sein und zu wissen, was die Stimme alles bezwecken kann.
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