„Deutschland braucht einen Grenzzaun.“
Jörg Meuthen, 19.10.2015; AfD
Kontext
Anlass der Aussage: Durch die steigende Anzahl an Flüchtlingen, die seit Sommer 2015 nach Deutschland kommen und durch den mangelnden Schutz der EU-Außengrenzen, forderte Jörg Meuthen den Bau eines Grenzzauns, der als „Schutzanlage“ an der deutsch-österreichischen Grenze dienen sollte. Außerdem sollen Grenzkontrollen durchgeführt und Asylsuchende abgewiesen werden.
Europapolitischer Kontext: 2014 wurden 240.000 Asylsuchende in Deutschland registriert (davon ca. 200.000 AsylbewerberInnen). 2015 stieg die Anzahl auf 890.000 Asylsuchende (und ca. 440.000 AsylbewerberInnen). In mehreren Schengenstaaten, wie Deutschland, Österreich, Frankreich, Dänemark, Schweden, Ungarn und Norwegen führten die krisenhaften Zustände an den Grenzen zur Wiedereinführung temporärer Grenzkontrollen.
Faktencheck
Braucht Deutschland einen Grenzzaun?
Unverhältnismäßigkeit und geringe Erfolgsaussichten: Zurzeit erleben wir die größte Flüchtlingskrise seit dem 2. Weltkrieg. Im Jahr 2015 waren laut UNHCR über 65 Millionen Menschen auf der Flucht. 86 Prozent der Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat fanden in Entwicklungsländern wie Pakistan, Jordanien und Libanon Zuflucht. Bei der derzeitigen Flüchtlingskrise handelt es sich dabei um eine globale Herausforderung. Ein Grenzzaun um Deutschland wäre unverhältnismäßig. Außerdem lässt sich eine Verringerung der Flüchtlingszahlen nicht durch eine Binnengrenzschließung erreichen, denn diese löst nicht die Abwanderungsgründe in den Staaten, aus den die Schutzbedürftigen fliehen.
Mangelnde Notwendigkeit: Die Bundesregierung hat im Herbst 2015 beschlossen einigen Asylsuchenden den Weg nach Deutschland zu ermöglichen. Dadurch lassen sich die hohen Zugangszahlen nach Deutschland erklären. Die Anzahl der in Griechenland und Italien ankommenden Flüchtlinge ist seit Herbst 2015 gesunken und auch in Deutschland wurden weniger Asylsuchende erstregistriert (bis September 2016 waren es 270.000). Gründe dafür sind vor allem die bisherigen EU-Maßnahmen, wie z. B. die FRONTEX-Missionen Triton und Poseidon zum Schutz der EU-Außengrenzen und -Küsten, aber auch das EU-Türkei-Abkommen zur Rücknahme und Austausch von Flüchtlingen. Diese koordinierten EU-Maßnahmen an den EU-Außengrenzen zeigen, dass sie ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der Flüchtlingszahlen sind.
Rechtliche und individuelle Auswirkungen: Die Errichtung eines Grenzzauns und auch die Schließung von Grenzen würden zu Einschränkungen der Rechte von UnionsbürgerInnen führen. Lange Wartezeiten wären das Resultat der Wiedereinführung von Passkontrollen. Ca. 1,7 Mio PendlerInnen in Europa, die in einem anderen Schengenstaat arbeiten, wären davon betroffen.
Wirtschaftliche Auswirkungen: Eine Schließung der europäischen Binnengrenzen würde die EU jährlich bis zu 18 Mrd. Euro kosten. Deutschland gehört zur größten Exportnation der EU und müsste deshalb mit deutlichen Mehrkosten im Falle einer Grenzschließung rechnen.
Außerdem würden Grenzen den europäischen Binnenhandel verteuern. Das ginge zu Lasten der privaten Haushalte.
Desweiteren ist davon auszugehen, dass die Touristenzahlen in grenznahen Regionen rückläufig wären.
Die Grenzinfrastruktur müsste ausgebaut werden, was zusätzliche Anschaffungs- und Verwaltungskosten verursachen würde.
Die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen sind zwar kostenintensiv, aber sie wirken kurzfristig, laut dem Institut der deutschen Wirtschaft, als „kleines Konjunkturprogramm“, was sich positiv auf die deutsche Volkswirtschaft auswirkt.
Rechtliche Machbarkeit: Mit Blick auf die rechtlichen Grundlagen ist festzustellen, dass die Errichtung von Grenzzäunen nicht umsetzbar wäre. Das Schengener Regelwerk sieht eine Schließung der Grenzen selbst in Notsituation nicht vor. Die Kontrolle von Binnengrenzen ist nur temporär für maximal sechs Monate unter außergewöhnlichen Umständen möglich. Deutschland würde gegen nationales Recht und Völkerrecht verstoßen, wenn es Asylsuchende an den Grenzen abweisen würde. In Artikel 16 a des deutschen Grundgesetzes ist dieses Recht auf Asyl und somit das Prinzip der Nichtzurückweisung als Grundrecht verankert. Deutsche Grenzbeamte sind angehalten, schutzbedürftige Personen, die auf der Flucht vor Verfolgung in einem fremden Staat einen Asylantrag stellen möchten, einreisen zu lassen und Schutz zu gewähren.
Ausführung: Eine derartige Umsetzung wäre derzeit nicht möglich. Die deutsch-österreichische Grenze ist über 800 km lang. Um den Zaun vollständig zu sichern, fehlt der Polizei derzeit das Personal. Grenzkontrollen könnten nur für 3 Wochen realisiert werden und dies auch nur an den den Grenzübergängen. Selbst wenn die deutsch-österreichische Grenze geschlossen werden könnte, blieben die Erfolgsaussichten einer solchen Abschottung weiterhin unsicher, da Einreisewege von Asylsuchenden nicht kalkulierbar sind.
Symbolwirkung: Der Bau eines Grenzzauns wäre ein unrühmlicher Präzedenzfall. Ein Grenzzaunwürde negative Assoziationen mit der deutsch-deutschen Mauer hervorrufen. Außerdem gab es bis jetzt keine Grenzen zwischen Schengenstaaten.
Bewertung
Die Forderung nach einem Grenzzaun rechtfertigt die AfD mit dem angeblichen Versagen der EU. Für Meuthen ist der Grenzzaun die wirkungsvollste Maßnahme, obwohl er darauf hin weist, dass ein derartiger Zaun nicht alle Probleme lösen würde. Bereits getätigte Reformschritte der EU werden dabei von ihm ignoriert.
Der Bau eines Grenzzauns ist eine sehr einfache Forderung, jedoch wurde diese Idee nicht zu Ende gedacht, denn ein derartiger Zaun verzögert nur die Probleme in der Flüchtlingspolitik und bekämpft nicht die Fluchtursachen. Da der Migrationsdruck so hoch ist, kann diese Forderung keine adäquate Lösung für eine europaweite und globale Herausforderung sein.
Stattdessen schürt Meuthens Assage durch den Gebrauch von Begriffen wie „Schutzanlage“ oder „unkontrollierter Massenzustrom“ das Misstrauen bei BürgerInnen und bedient europaskeptische Vorbehalte.
Quelle: TruLies – The Truth about Lies on Europe, FACTSHEETS #2 I Migration I FEB. 2017
Titelbild: Symbolbild / pixabay.com/Free-Photos