„Ich bin skeptisch, ob dieser Eins-zu-eins-Austausch sinnvoll ist, denn eins zu eins, also der Austausch legaler und illegaler Migration und Zuwanderung, bedeutet ja nicht ein Weniger an Zuwanderung.“
Markus Söder, 17.3.2017; CSU
Zusammenhang
Anlass der Aussage: Im Rahmen eines Interviews für den Deutschlandfunk bezog Markus Söder (CSU) Stellung zu aktuellen migrationspolitischen Themen. Anlässlich des am darauffolgenden Tag stattfindenden EU-Türkei-Gipfels vom 18.03.2017 äußerte er Zweifel an der Zweckmäßigkeit eines „1:1-Mechanismus“, welcher ein Bestandteil des EU-Türkei-Aktionsplans vom Vorjahr war. Stattdessen befürworte er eine Stärkung der nationalen Binnengrenzen nach dem Vorbild der Staaten des Balkans. Andernfalls sei zu befürchten, dass „am Ende alles wieder in Deutschland bleibt.“
Europapolitischer Zusammenhang:
Neben der erwähnten Aufnahme in den EU-Türkei-Aktionsplan des Jahres 2015 fand die 1:1-Regelung auch innerhalb einer gemeinsamen Erklärung von Regierungschefs der EU und der Türkei Erwähnung. Innerhalb dieser Erklärung vom 18.03.2016 wurde die Absicht erneut bekräftigt, alle ab dem 20. März 2016 in die EU eingereisten Migranten, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, in die Türkei zurückzuführen. Im Gegenzug verpflichteten sich die EU-Staaten zur Neuaufnahme von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen im Verhältnis 1:1.
Fakten
Macht ein Austausch im Verhältnis 1:1 Sinn?
Die tatsächliche Absicht der Regelung
Die von Herrn Söder kritisierte 1:1-Regelung ist Bestandteil eines zwischen der EU und der Türkei vereinbarten Maßnahmenpaketes zur Bekämpfung der illegalen Migration. Somit ist es nicht das Ziel der Regelung, die Migration in die EU als solche zu beschränken, wie von Herr Söder behauptet. Vielmehr soll die Zuwanderung auf legalem Wege erleichtert werden, um so die Anreize für illegale Migration zu minimieren. Um letzteres zu erreichen, ist auch eine Stärkung der griechischen und bulgarischen Grenze, sowie eine finanzielle Unterstützung der türkischen Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete vorgesehen. Im Gegenzug beabsichtigt die Türkei, ihrerseits die illegale Migration über ihr Territorium in die EU zu verhindern.
Bisherige Umsetzung
Bislang ist es noch nicht gelungen, das beabsichtigte 1:1-Verhältnis zu realisieren. Zwar konnten bis Ende des Vorjahres 2.761 SyrerInnen legal in die EU einreisen, jedoch wurden im gleichen Zeitraum lediglich 748 Menschen in die Türkei zurückgeführt. Die geplante Größenordnung von 6.000 legalen Neuansiedlungen und ähnlich vielen Rückführungen bleibt somit bislang noch Theorie. Ein Grund für den bislang schleppenden Verlauf ist der versuchte Militärputsch in der Türkei, der innerhalb des Landes zu erheblichen innen- und sicherheitspolitischen Verwerfungen führte. Dies zog nach sich, dass innerhalb der EU fortan keine uneingeschränkte Einigkeit über die Einstufung der Türkei als sicheres Drittland mehr bestand.
Zu Recht führen einige Beobachter eine starke Verschlechterung der humanitären Situation an, die zusätzlich unter der zunehmend autoritären Ausrichtung des türkischen Staates leidet. Trotz finanzieller Unterstützung der EU bleibt die Unterbringung der Geflüchteten häufig unwürdig und unzumutbar. Selbst Berichte von Schüssen auf Geflüchtete bei Übertritt der syrisch-türkischen Grenze geraten vereinzelt an die Öffentlichkeit. Weiterhin erschweren personelle Mängel, insbesondere an SacharbeiterInnen in den türkischen und griechischen Aufnahmezentren (sogenannte Hot Spots) die geordnete Abwicklung der Asylverfahren.
Hinzu kommen außerdem eine Reihe von rechtlichen Unsicherheiten. So hat etwa die Türkei ihre Mitgliedschaft in der Genfer Flüchtlingskonvention an die Zusicherung von Ausnahmeregelungen geknüpft, die den Flüchtlingsstatus betreffen. Diesen beschränkt sie nämlich ausdrücklich auf Personen aus Europa und schließt somit Geflüchtete aus anderen Regionen, einschließlich Syriens, zunächst aus. Außerdem besitzt die EU-Türkei-Erklärung nicht den Status eines völkerrechtlichen Abkommens – die Möglichkeit zur Klage ist damit ausgeschlossen.
Keine Begrenzung der Zuwanderung?
Begleitende Maßnahmen
Zusätzlich zur 1:1-Regelung wurden eine Reihe von weiteren Maßnahmen beschlossen, welche in der Summe bereits kurz nach ihrer Verabschiedung zu einem starken Rückgang der illegalen Migration in die EU führten. Wenn zuvor noch 1.800 Menschen pro Tag den Weg nach Europa suchten, so waren es anschließend nur noch ca. 94 pro Tag. Die Zahl der Geflüchteten sank somit von 56.335 im Februar, auf 26.971 im März und 1.554 Menschen im Juni um ein Vielfaches.
Zu jenen begleitenden Maßnahmen zählt zum einen die Zahlung von 3 Mrd. Euro an Fördergeldern, welche ausschließlich dazu dienen, die Situation der Geflüchteten innerhalb der Türkei zu verbessern und eine Weiterreise in die EU somit weniger attraktiv zu machen. Dies schließt eine Erleichterung des Zuganges zum türkischen Arbeitsmarkt, sowie die Auszahlung von Stipendien an syrische Geflüchtete ein. Brüssel behält sich vor, bis Ende nächsten Jahres noch einmal 3 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen, sollte das Geld bis dahin aufgebraucht sein.
Zum anderen wurden Vorkehrungen zu einer Verstärkung des Grenzschutzes von der Türkei zu Ländern der EU, wie Griechenland und Bulgarien getroffen. Insbesondere die Türkei hat sich verpflichtet, illegale Flüchtlingsrouten zu schließen. Außerdem wurde die 1:1-Regelung mit einer Art Obergrenze versehen, die die mögliche Aufnahme von SyrerInnen auf maximal 54.000 beschränkt, sofern keine humanitären Gründe dagegen sprechen.
Hat Söder Recht?
Es stellt sich letztlich heraus, dass Herr Söder den tatsächlichen Zweck des 1:1-Mechanismus nicht zu kennen scheint. Ziel ist es eben nicht, eine Verringerung der Zuwanderung herbeizuführen, sondern neue Wege und Anreize zu einer legalen Migration zu schaffen und illegaler Einreise dadurch den Boden zu entziehen. Trotz der Skepsis von Herrn Söder fand mithilfe der anderen Instrumente des Maßnahmenpaketes dennoch ein starker Rückgang der Zuwanderung statt.
Nicht zuletzt bedient Herr Söder mit seinem Kommentar bestehende EU-skeptische Ressentiments, die eine übermäßige Belastung Deutschlands und ein Scheitern der Europäischen Union aufgrund der Flüchtlingskrise herbeireden möchten. Indem er die Rückkehr zu einem nationalen Grenzschutz fordert, scheint er den dauerhaften Verlust der europäischen Grundfreiheiten in Kauf zu nehmen. Vor allem die polemische Vermutung, dass „am Ende alles wieder in Deutschland“ bleibe, leistet in gefährlichem Maße einem weiteren Anwachsen des EU-Skeptizismus Vorschub.
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