Frau Prof. Dr. Putensen ist als außerplanmäßige Professorin für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit und der Nordischen Geschichte eine ausgemachte Expertin für die Staaten Skandinaviens. Diese Staaten haben viele Gemeinsamkeiten, aber die Einstellung der skandinavischen Bevölkerung zur Europäischen Union ist sehr unterschiedlich. Worin liegt dies begründet und welchen Einfluss haben die einzelnen Länder auf die europäische Politik? Diese und viele weitere Fragen wurden durch den Vortrag beantwortet.
Als Einstieg stellte Prof. Dr. Putensen die einzelnen skandinavischen Staaten in kleinen Länderportraits vor. Die Königreiche Schweden und Norwegen sowie die Republiken Finnland und Island besitzen eine sehr große Staatsfläche mit gleichzeitig geringer Bevölkerungsanzahl. Die Bevölkerungsdichten sind extrem gering. Charakteristisch für die Staaten auf der skandinavischen Halbinsel ist eine starke Zentrierung der Bevölkerung und der Wirtschaft in den südlich gelegenen Ballungszentren. Das Königreich Dänemark bildet mit seiner vergleichsweise kleinen Fläche eine Ausnahme. Wegen der geringen Bevölkerungsanzahl werden diese Staaten zu den „kleinen Ländern Europas“ gezählt. Von den Nordstaaten sind drei EU-Mitglieder (Finnland, Dänemark und Schweden) und zwei Teilhaber am Europäischen Wirtschaftsraum (Norwegen und Island). In dem konfliktreichen Prozess der europäischen Integration der Nordstaaten waren große Schritte notwendig. Den geschichtlichen Rahmen teilt Prof. Dr. Putensen in fünf Phasen ein.
In der ersten Phase, der Nachkriegszeit bestand eine einhellige Ablehnung der europäischen Zusammenarbeit und eine Distanz zu ersten Integrationsschritten, wie dem Marschall-Plan. Die Staaten wollten ihre Neutralität bewahren und nicht in einen Konflikt mit den Großmächten hineingezogen werden. Finnland z.B. handelte einen Friedensvertrag mit der Sowjetunion aus. Die sozialdemokratischen Regierungen orientierten sich politisch und wirtschaftlich stark an Großbritannien. Eine Mitgliedschaft in der EWG war für die Skandinavier tabu, schon allein wegen der Teilnahme der Bundesrepublik Deutschlands, welcher man weiterhin höchst misstrauisch gegenüberstand. Man folgte vielmehr der Konkurrenzorganisation EFTA, welche jedoch nach kurzer Zeit scheiterte. Die zweite Phase setzte 1961 ein. Es wurden nach heftigen Debatten Aufnahmeanträge von Norwegen und Dänemark bei der EWG eingereicht, für Schweden und Finnland war dies weiterhin nicht mit der außenpolitische Maxime vereinbar.
Erst nach De Gaulles Rücktritt als französischer Präsident, welcher mit seiner „Politik des leeren Stuhls“ eine Mitgliedschaft der Länder abgelehnte, war es möglich in die nun umbenannte EG einzutreten. Die dritte Phase stand ganz im Zeichen der Wirtschaftskrise, in der Dänemark, aufgrund seiner landwirtschaftlichen Exportwirtschaft, Mitglied der EG wurde. Für die Nordischen Staaten war ein Zugang zu den Binnenmärkten von äußerster Wichtigkeit. Phase vier begann 1975 und endete mit einer Wirtschaftskrise nach der Wende, da wichtige Märkte im Osten wegbrachen. EU-Skeptizismus machte sich in den Nordländern breit.
Erst nach zwei Volksabstimmungen in Dänemark konnte der Vertrag von Maastricht nur mit großen Abstrichen gerettet werden. Alle vier Länder vereint bis heute die Angst vor zu viel Supranationalität. Jedoch änderten Schweden und Finnland nach dem Fall der Mauer ihre Außenpolitik. Es folgte eine Abkehr von der Neutralität und nach Volksabstimmungen stellten beide Länder einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft. In Norwegen fiel der Entscheid hingegen negativ aus. Die fünfte Phase begann 1995 und besteht bis heute. Finnland versucht als „Musterknabe“ der EU eigene Akzente zu setzen und auch Dänemark und Schweden sind sehr gut in die Staatengemeinschaft integriert. Die Angst, als kleine Staaten überstimmt zu werden und dass Sonderinteressen auf der Strecke bleiben, besteht bei allen Ländern weiterhin. Island ist vordergründig aus wirtschaftlichen Gründen kein Mitglied. Durch den existentiellen Fischfang scheint dies nicht möglich. Mehrmalige Erweiterungen der nationalen Fischereigrenze führten zu großen Diskrepanzen vor allem mit Großbritannien, welche beinahe zu einem „Kabeljaukrieg“ führten.
In der folgenden Fragerunde wurde darauf hingewiesen, dass Norwegen aufgrund seines Erdölreichtums nicht auf die EU angewiesen ist. Durch den seit 1952 bestehenden Nordischen Rat ist das Land aber mit einem gemeinsamen Arbeitsmarkt und Passfreiheit sehr gut in die „nördliche Region“ integriert. Die Beziehungen untereinander werden von Mitteleuropäern erstaunlicherweise meist falsch eingeschätzt. Skandinavien wird als eine Einheit verstanden, jedoch herrschen etliche Differenzen untereinander vor. Diese sind geschichtlich gewachsen durch wechselnden Vormachtstellungen und der immerwährenden Dominanz Schwedens. Hierzu kamen diverse historische Unionsmodelle zur Sprache, als auch die Zweisprachigkeit Finnlands. Die Nordischen Staaten haben zwar einige Probleme untereinander, benötigen sich aber gegenseitig. Zu guter Letzt wurde auf die dunkle Zeit des Faschismus in Europa und die belasteten Beziehungen zu Deutschland eingegangen. Auch in dieser Angelegenheit können die einzelnen Positionen der Staaten durchaus als polyphon bezeichnet werden.
(Zusammengefasst von B. Wesel, sammelt zur Zeit seine praktischen Erfahrungen im EIZ)