Am 1. März 2017 legte die Europäische Kommission das Weißbuch zur Zukunft Europas vor. Es geht der Frage nach, wie sich Europa in den nächsten zehn Jahren verändern wird – von den Auswirkungen neuer Technologien auf Gesellschaft und Beschäftigung, über Bedenken hinsichtlich der Globalisierung, bis hin zu Sicherheitsfragen und dem zunehmenden Populismus. Wer jedoch auf eine eindeutige Antwort hofft, wird enttäuscht. Anstelle einer klaren Antwort werden fünf mögliche Szenarien dargestellt, die jeweils einen ganz unterschiedlichen Ausblick darauf geben, wie das Jahr 2025 aussehen kann. Dabei schließen sich die Szenarien weder aus noch sind sie erschöpfend. Das Weißbuch verdeutlicht aber, dass die Zukunft Europas in unserer Hand liegt. Die EU ist von Populisten, Terroristen, Finanzkrisen, Austritten etc. bedroht. Das Weißbuch macht klar, dass wir vor der Wahl stehen, uns entweder von solchen Entwicklungen bezwingen zu lassen oder wir stellen uns den neuen Herausforderungen, um dadurch neue Chancen zu ergreifen.
Szenario 1: Weiter wie bisher
Die EU, die nach dem Brexit nur noch aus 27 Mitgliedstaaten besteht, behält ihren jetzigen Kurs bei. Sie setzt weiterhin ihre Reformagenda um und baut diese aus. Das heißt, die 27 Mitgliedstaaten konzentrieren sich auf Reformen, Jobs, Wachstum und Investitionen.
In diesem Szenario wird die aktuelle Politik der EU, aber auch die mit der Bratislava-Erklärung beschlossene stärkere Ausrichtung auf den Binnenmarkt, auf Wachstum und Beschäftigung fortgeführt. Die Kommission geht davon aus, dass dieses Szenario zwar zu einigen positiven Ergebnissen und Fortschritten führen kann, zugleich werden bestehende Differenzen jedoch nicht strukturell angegangen und können die Einheit der 27er-EU weiter auf die Probe stellen.
Szenario 2: Schwerpunkt Binnenmarkt
Die 27 Eurostaaten konzentrieren sich nur auf den Binnenmarkt. In vielen anderen Politikbereichen können sie jedoch nicht mit einer gemeinsamen Stimme sprechen, sodass die EU international an Bedeutung einbüßt.
Szenario 3: Weniger machen mehr
Staaten, die im Rahmen der EU enger zusammenarbeiten wollen als bisher, können „Koalitionen der Willigen“ bilden. Derartige Koalitionen gibt es bereits beim Euro oder im Schengen-Rahmen. Diese Zusammenarbeit könne in Zukunft auf die Bereiche Verteidigung, innere Sicherheit, Steuern und soziale Angelegenheiten ausgedehnt werden.
Außerdem sind gemeinsame Polizeitruppen und Staatsanwälte denkbar, die bei grenzüberschreitender Kriminalität ermitteln. Des Weiteren können nationale Datenbanken miteinander verknüpft werden, um sicherheitsrelevante Informationen unmittelbar auszutauschen. Bei diesem Szenario besteht die Möglichkeit, dass andere Staaten später nachziehen.
Szenario 4: Weniger machen, aber effizienter
Die EU konzentriert sich auf ausgewählte Bereiche, um schneller Ergebnisse zu erzielen, und überlässt andere Tätigkeitsbereiche den Mitgliedstaaten. Für die Migrationspolitik könne das zum Beispiel bedeuten, dass der neue Grenz- und Küstenwachschutz die Überwachung aller nationalen Grenzen übernimmt. Alle individuellen Asylentscheidungen werden dann nicht mehr national, sondern auf europäischer Ebene getroffen. Dagegen würde sich die EU aus anderen Bereichen weitestgehend zurückziehen.
Szenario 5: Mehr gemeinsames Handeln
Es sollen mehr Kompetenzen und Ressourcen geteilt werden. Dadurch soll es einfacher werden, Entscheidungen zu treffen. Allerdings besteht die Gefahr, Europaskeptiker dahingehend zu stärken, dass die EU Entscheidungen diktiere und den nationalen Regierungen mehr und mehr Kompetenzen abnehme.
Weitere Schritte
Das Weißbuch ist der Beitrag der Europäischen Kommission zum Gipfel in Rom, auf dem die EU ihre Errungenschaften der vergangenen 60 Jahre, aber auch ihre Zukunft als EU der 27 erörtern wird. Das Weißbuch soll am Anfang eines Prozesses stehen, in dessen Rahmen die EU27 die Weichen für die Zukunft der Union stellt. Um diesen Prozess zu unterstützen, wird die Europäische Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament und allen interessierten Mitgliedstaaten eine Reihe von Diskussionsrunden zur Zukunft Europas veranstalten.
Ergänzt werden diese Gespräche durch verschiedene Diskussionspapiere wie z.B.
- zur Entwicklung der sozialen Dimension Europas
- zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion auf der Grundlage des Berichts der fünf Präsidenten vom Juni 2015
- zu den Chancen der Globalisierung
- zur Zukunft der europäischen Verteidigung
- zur Zukunft der EU-Finanzen
Diese Diskussionspapiere stellen ähnlich wie das Weißbuch unterschiedliche Ideen, Vorschläge, Optionen oder Szenarien für Europa im Jahr 2025 dar, ohne jedoch endgültige Beschlüsse aufzuzeigen.
Der Hintergrund
Vor 60 Jahren legten die Gründerväter der EU mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge den Grundstein für die EU. Zukünftige Konflikte sollten von da an am Verhandlungstisch anstatt auf dem Schlachtfeld ausgetragen werden.
Der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 2017 ist für die Staats- und Regierungschefs der EU ein bedeutender Anlass, um zu prüfen, wo die EU heute steht und welche Zukunft sie einschlagen soll.
Nun heißt es, Stärken sowie Schwächen auszuloten und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen, aber auch den gemeinsamen Willen zu zeigen, dass die 27 Mitgliedstaaten eine gemeinsame Zukunft einschlagen wollen.
In dieser Debatte soll das Weißbuch als Leitfaden dienen und helfen, die Gespräche zu strukturieren. Zusätzlich ist das Weißbuch ein Ausgangspunkt für eine öffentliche Debatte über die Zukunft unseres Kontinents.
Das komplette Weißbuch können Sie hier herunterladen.
Übrigens: Als Symbol für den neuen Aufbruch anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Römischen Verträge wird das Weißbuch von Origami-Tauben geschmückt. Falls Sie so eine Taube auch selbst falten möchten, finden Sie hier die Anleitung.