Am 1. Juli hat Estland turnusgemäß den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen. Für das noch junge EU-Mitglied ist es eine Premiere. Dreizehn Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahre 2004, der im Rahmen der Osterweiterung erfolgte, übernimmt Tallinn in diesen Tagen zum ersten Mal für ein halbes Jahr dieses wichtige Amt. Besondere Schwerpunkte sollen den roten Faden der estnischen Ratspräsidentschaft bilden und dem Amt dadurch einen speziellen Charakter verleihen. So stehen etwa der Europäische Binnenmarkt, vor allem im digitalen Bereich, die Energieunion, sowie die östliche Partnerschaft im Vordergrund. Noch übergeordnet sind jedoch die langfristigen Ziele der Bewahrung von Wohlstand, Frieden, Sicherheit und Stabilität, denen sich jedes vorsitzende Land verpflichtet sieht. Wie alle vorherigen Vorsitze hat natürlich auch Estland eine Homepage erstellt. Diese ist hier zu finden.
Die lange Geschichte eines wichtigen EU-Organs
Der Rat der Europäischen Union ist ein zentrales Organ der EU, das in etwas anderer Gestalt bereits seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahre 1952 existierte. Damals noch als „Besonderer Ministerrat“ bezeichnet, übte es schon die Funktion eines beratenden Gremiums der verschiedenen Mitgliedsstaaten aus. Umbenannt in „Rat der EWG“ bestand das Organ ab dem Jahre 1958 auch während der Phase der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fort. Seine heutige Gestalt und Funktionsweise erhielt es im Zuge des Vertrages von Lissabon 2009. Die bis dahin geltende qualifizierte Mehrheit wurde auf ein Verfahren der doppelten Mehrheit angepasst, welches von 2014 bis 2017 umgesetzt werden soll. Die doppelte Mehrheit setzt sich somit aus der Mehrheit der Mitgliedsstaaten (55%), sowie der EU-Bevölkerung (55%) zusammen.
Der Rat der Europäischen Union gilt als das wesentliche Entscheidungsorgan der EU. Im Sinne einer Art „Staatenkammer“ sind die wichtigsten Funktionen im Beschluss von neuen Rechtsvorschriften auf Vorschlag der Europäischen Kommission, in der Abstimmung und Kontrolle einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik, in der Koordinierung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sowie in der Genehmigung des Budgets der EU zu sehen.
Wechselnder Vorsitz des Rates der Europäischen Union
Aufgaben des Vorsitzes
Die Aufgaben des Vorsitzes sind an übergeordneten Prinzipien ausgerichtet, die sich grundsätzlich am Leitbild eines neutralen und moderierenden Vermittlers orientieren. Dies schließt auch den besonderen Schutz der Rechtsvorschriften und der Gesetzgebungsverfahren der EU mit ein. Der Vorsitz organisiert formelle und informelle Treffen von Regierungsvertretern und vertritt den Rat gegenüber anderen Organen der EU. Mit diesen wird eine enge inhaltliche Abstimmung angestrebt – vor allem mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und des hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik ist dies von Priorität, um die Handlungsfähigkeit der EU bestmöglich zu gewährleisten.
Die „Trio-Präsidentschaft“
Seit dem Jahr 2007 wird die Ratspräsidentschaft als sogenannte „Trio-Ratspräsidentschaft“ ausgeübt, also in enger Zusammenarbeit mit zwei weiteren Mitgliedsstaaten, welche nacheinander den Vorsitz innehaben. Charakteristisch ist hierbei ein gemeinsames und abgestimmtes Programm der drei Staaten, sowie die Vertretung bei einzelnen Ratssitzungen. Das „Trio-System“ dient insbesondere dazu, die Arbeitskontinuität der Europäischen Union zu gewährleisten, sowie eine reibungslosere und besser abgestimmte Übergabe des Ratsvorsitzes zu gewährleisten. Estland übt die Trio-Präsidentschaft zusammen mit Bulgarien und Österreich aus, welche im nächsten Jahr nacheinander den Vorsitz übernehmen.
Estland springt für Großbritannien ein
Eigentlich wäre das kleine baltische Land mit seinen 1,3 Mio. Einwohnern erst Anfang 2018 mit seiner ersten EU-Ratspräsidentschaft an der Reihe gewesen. Der Fahrplan für den jeweiligen Vorsitz stand bereits bis 2020 fest. Doch nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien wurde dieser neu aufgestellt. Der jeweilige Ratsvorsitz wurde um sechs Monate vorgezogen: 2017 Estland, 2018 Bulgarien und Österreich, 2019 Rumänien und Finnland. Ab 1.Januar 2020 hat dann erstmalig das jüngste EU-Mitgliedsland den Vorsitz inne: Kroatien. Den Beschluss zur Änderung der Reihenfolge und den kompletten Plan zur EU-Ratspräsidentschaft bis 2030 finden Sie als PDF hier.
Quellen:
http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/presidency-council-eu/
https://eu2015.lv/de/die-ratsprasidentschaft-und-die-eu/trio-praesidentschaft
http://www.presseausweis.de/service/eu-organe/rat-der-europaeischen-union-ministerrat/aufgaben
http://www.presseausweis.de/service/eu-organe/rat-der-europaeischen-union-ministerrat/geschichte