Aktuelle Situation in der Türkei
Ein „Sieg der Demokratie“ sollte es sein, als Erdogan am 15. Juli anlässlich des ersten Jahrestages des gescheiterten Militärputsches zur pompösen Staatsfeier lud. Es ist zu erwarten, dass jener Jahrestag von nun an alljährlich feierlich begangen wird, um auf diesem Wege die Macht der Regierung zu stärken. Die Bezeichnung „Sieg der Demokratie“ ist indes zynisch, angesichts des gleichzeitigen Wandels der Türkei hin zu einem autoritären Staat.
Seit der blutigen Niederschlagung des Putsches haben in der Türkei über 50.000 Festnahmen stattgefunden, bei denen einen rechtsstaatliches Verfahren alles andere als sicher ist. Ein großer Teil der Festgenommenen wird hierbei mit der „Gülen-Bewegung“ in Verbindung gebracht – der politischen Organisation des im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen. Jener wird von der Regierung Erdogan als angeblicher Drahtzieher des Putschversuches bezeichnet. Diese Festnahmen sind hierbei nur ein Sinnbild für die Abkehr der Türkei von Demokratie und Rechtsstaat.
Wissenswertes zu Buch und Autor
Baha Güngör – Ein ausgewiesener Kenner des Landes
Der bekannte Türkei-Experte und ehemalige Redaktionsleiter bei der Deutschen Welle, Baha Güngör hat sich als wachsamer Beobachter der aktuellen Entwicklung in der Türkei einen Namen gemacht. Mit großer Sorge stellt er das fortschreitende Erodieren des türkischen Rechtsstaates sowie der Presse- und Meinungsfreiheit fest. Neben der Untersuchung aktueller Ereignisse lässt er auch die Erforschung früherer Entwicklungen und tieferliegender Ursachen nicht außer Acht, um dem Publikum ein ganzheitliches und plastisches Bild des großen Landes am Bosporus zu präsentieren.
Bei seiner Analyse pflegt Güngör tiefer zu schürfen als seine journalistischen Kollegen. Oberflächliche Debatten und skandalisierende Schlagzeilen sind nicht sein Stil – Güngör möchte offenlegen und kritisieren, dabei jedoch stets den Ansprüchen der Objektivität und Faktentreue gerecht werden. Während in der gegenwärtigen Debatte die kulturellen, religiösen und historischen Hintergründe des türkischen Weges oft unterschlagen werden, bezieht Güngör auch diese wichtigen Vorbedingungen in seine Untersuchungen mit ein.
Vita eines deutsch-türkischen Journalisten
Güngör wurde 1950 in Istanbul als Sohn eines Zahnarztes geboren. Im Alter von 11 Jahren erfolgte der Weiterzug nach Deutschland, genauer nach Aachen, wo sein Vater eine Anstellung als Zahnarzt finden konnte. Güngör selbst entschied sich hingegen für die journalistische Laufbahn, deren erste Etappe ein Volontariat bei der Kölnischen Rundschau im Jahre 1976 bildete. Es schlossen sich weitere Stationen bei Reuters, dem Bonner General-Anzeiger sowie der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) an. Viele weitere Jahre stellte er sich außerdem als freier Journalist mehreren deutschen Fernsehsendern zur Verfügung.
Nachdem Güngör in seinen ersten Berufsjahren auch Auslandserfahrung als Pool-Korrespondent der WAZ in Ankara und Athen sammeln konnte, diente die sechsjährige dpa-Korrespondentschaft in der Türkei als weitere Vertiefung seines türkisch-deutschen Wissensschatzes. Von 1999 bis zu seinem Ruhestand im letzten Jahr leitete er die türkische Redaktion der deutschen Welle. Bis heute ist Güngör als Buchautor aktiv und gilt als geschätzter Interviewpartner für Fernsehen, Presse und Rundfunk.
Neuerscheinung: „Atatürks wütende Enkel“
In seinem neuen Buch „Atatürks wütende Enkel – Die Türkei zwischen Demokratie und Demagogie“ möchte Baha Güngör eine Antwort geben auf drängende Fragen zur „neuen“ Türkei und ihres möglichen zukünftigen Weges. Zur Unterstützung der aktuellen Analyse sollen dabei auch Wissenslücken zur historischen Entwicklung der kemalistischen Republik geschlossen werden, die als ein Erklärungsansatz des gegenwärtigen politischen Kurses Erdogans dienen können. Dieser tiefgründige Anspruch ist es, der das Buch zu einer wohltuenden Alternative zur bislang häufig einseitigen und undetaillierten Türkeiberichterstattung werden lässt.